EHEC
Zu den Risiken der Verbreitung von EHEC-Erregern mit organischen Düngemitteln, insbesondere Klärschlamm
Hintergrund
Anfang Mai 2011 traten die ersten Fälle von EHEC-Infektionen in Norddeutschland auf. Mitte Mai wurde der erste Todesfall bekannt. Dem Robert-Koch-Institut (RKI) wurden bis Ende Juni 3901 EHEC-Infizierte gemeldet. Das RKI registrierte insgesamt 47 Todesfälle. 838 Menschen leiden am hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS).
Als die Zahl der Neuinfektionen mit täglich 43 beziffert wurde, rückte die Frage nach dem Übertragungsweg in den Mittelpunkt. Zunächst wurden Gurken- und Salatproduzenten Opfer erster Spekulationen über den Infektionsweg. Anschließend wurde über Rindergülle und Biogasanlagen als Infektionsquelle gemutmaßt. Mitte Juni wurde der Erreger in Proben eines Baches in der Nähe von Frankfurt gefunden und eine nahe gelegene Kläranlage als mögliche Quelle benannt. Im Zuge dieser dramatisch anmutenden Verbreitung eines lebensgefährlichen Krankheitserregers erscheint es verständlich, dass sich Angst verbreitet und Vorsichtsmaßnahmen eher übereilt als reiflich durchdacht getroffen werden.
Wie unangemessen und unverhältnismäßig solche Maßnahmen sein können, wird oft erst im Rückblick deutlich, wenn die zunächst vorherrschende Angst einer sachlichen Betrachtungsweise gewichen ist. So wurden vor 10 Jahren, als die BSE-Krise Schlagzeilen machte, mehr als 25.000 vollkommen gesunde Rinder geschlachtet. Nach kurzer Zeit wurde die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung mit der Verbreitung von BSE in Zusammenhang gebracht. Die Düngung mit Klärschlamm aus Kläranlagen, in die Schlachthofabwässer eingeleitet wurden, war verboten worden. Schließlich sollte die Nutzung von Klärschlamm als Düngemittel gänzlich verboten werden. Erst als bekannt wurde, dass dieser Übertragungsweg auszuschließen ist, wurde das Verbot wieder fallen gelassen.
Vergleich zu anderen Risiken
An EHEC erkrankten in den letzten 10 Jahren durchschnittlich rund 1000 Menschen pro Jahr. Die Zahl der Todesfälle lag bislang bei einem Fall jährlich. In 2011 gab es bis Juni bereits 47 Todesfälle. Die Zahl der Todesfälle infolge von BSE lag im Jahr 2000 mit 28 in England am höchsten. Seit 1995 sind in England bislang 163 Menschen verstorben, in Deutschland gibt es noch keinen Todesfall, weltweit sind es 196 [1]. Die WHO gab die Anzahl der Infektionen mit dem Vogelgrippevirus H5N1 in den Jahren 2003 bis 2006 weltweit mit 203 und die Todesopfer mit 113 an [2]. In Deutschland erkranken jedes Jahr vier bis zehn Prozent der Bevölkerung an Grippe (Influenza). Das Robert-Koch-Institut geht von jährlich 5000 bis 15 000 Grippe-Toten in Deutschland aus [3].
Verbreitungsgefahr und Infektionsquellen von EHEC in der Umwelt
Coli-Bakterien sind Bestandteil der natürlichen Darmflora bei nahezu allen Säugetieren, Nagetieren, Vögeln und beim Menschen. Der enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) hingegen gehört zu einem genetisch veränderten Stamm der E.coli-Bakterien, der bestimmte Toxine produziert. Diese Toxine können schwerste Krankheitsbilder auslösen, und schließlich zum Tode führen. Der Keim kommt vor allem im Darm von Wiederkäuern vor. Aber auch nahezu alle Säugetiere, Nagetiere und Vögel können Träger von EHEC-Bakterien sein, ohne dass die Tiere selbst Krankheitssymptome zeigen.
Die Bakterien können mit den Fäkalien in die Umwelt gelangen oder durch von den Tieren gewonnene verunreinigte Lebensmittel wie Milch und Fleisch übertragen werden, wenn diese nicht ausreichend erhitzt bzw. pasteurisiert wurden. Daneben ist auch eine Übertragung bei engem Personen- und Tierkontakt durch Schmier- und Schmutzinfektion möglich.
Die Verbreitung in der Umwelt kann theoretisch über Gülle von infizierten Rindern, Fäkalien infizierter Wildtiere, Bioabfallkompost oder Biogasgülle, wenn infizierte Lebensmittelreste als Ausgangsstoffe eingesetzt wurden, oder über Klärschlamm, der als Düngemittel in der Landwirtschaft eingesetzt wird, erfolgen. Dieser Verbreitungsweg wäre dann als Gefahr ernst zu nehmen, wenn auch eine Vermehrung der Bakterien in den jeweiligen Umweltkompartimenten stattfinden könnte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall:
In Gülle findet bei der in der Praxis mindestens üblichen vier bis sechswöchigen Lagerung eine starke Abnahme der Fäkalkeime statt. Dies zeigte eine Untersuchung der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg [5]. Nach 3 Monaten Lagerungszeit waren überhaupt keine E.coli mehr nachzuweisen.
Für Biogas- und Kompostierungsanlagen schreibt die Bioabfallverordnung eine Behandlung zur Hygienisierung vor. Dies kann durch eine Pasteurisierung (Erhitzen auf 70 °C für eine Stunde) oder durch andere Behandlungsverfahren (z.B. geringere Temperaturen über einen längeren Zeitraum in thermophilen Anlagen) geschehen. Auch hier erfolgt zwangsläufig eine starke Reduktion von EHEC-Erregern, sofern sie in den Ausgangsstoffen vorhanden waren. Darüber hinaus vermindern weitere Vorgaben der BioAbfV, z.B. Einschränkungen der Zulässigkeit von Ausgangsmaterialien sowie die Einarbeitungspflicht in den Boden vor der Ausbringung auf Feldgemüseflächen, das Verbreitungs- und Infektionsrisiko.
Coli-Bakterien, die über die Kanalisation in Kläranlagen gelangen, werden im Zuge der Abwasserreinigung ebenfalls stark dezimiert. Je nach Kläranlagentechnik liegt die Eliminationsrate auch ohne den Einsatz spezieller Desinfektionstechnik teilweise bei über 99 % [5]. Für den Einsatz von Klärschlamm als Düngemittel gelten strengste seuchenhygienische Vorschriften. Nach Abfallklärschlammverordnung (AbfKlärV) dürfen Klärschlämme nicht auf Obst- und Gemüsebauflächen sowie auf Grünland und Forstflächen ausgebracht werden. Bei Anbau von Feldgemüse auf Ackerbauflächen ist im Jahr des Anbaus sowie im darauf folgenden Jahr eine Düngung mit Klärschlamm verboten. Bei Feldfutter ist eine Klärschlammaufbringung nur vor der Aussaat mit anschließender tiefwendender Einarbeitung zulässig. Eine Kontamination von Ernteprodukten über den direkten Kontakt zu Klärschlamm ist somit ausgeschlossen.
Gelangen Coli-Bakterien über eines der organischen Düngemittel dennoch auf Ackerflächen, so reduziert sich ihre Anzahl bereits in den ersten 10 Tagen um bis zu 90 % [6]. Ihre Überlebensfähigkeit sinkt mit zunehmender Temperatur, zunehmender Einstrahlung von Sonnenlicht und bei zunehmender Trockenheit. Bei heißer Witterung sterben Escherichia coli nach LEISSNER (1988), zit. in WASIAK et al. [6] innerhalb kurzer Zeit vollständig ab. Unter mitteleuropäischen Verhältnissen liegt die Überlebensfähigkeit von Coli-Bakterien in Böden bei weniger als 10 Wochen. Die Zeitspanne von der organischen Düngung bis zur Ernte liegt bei Ackerkulturen i.d.R bei vier bis sieben Monaten Insgesamt kann eine Übertragung von EHEC-Erregern auf Ernteprodukte durch den Einsatz belasteter organischer Düngemittel nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden.
Eine Kontamination von Trinkwasser durch den Übergang von Coli-Bakterien in das Grundwasser ist durch den Einsatz von kontaminierten organischen Düngern ebenfalls auszuschließen. Wie eine Untersuchung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft ergeben hat, kann eine Verlagerung der Güllekeime in tiefe Bodenbereiche ausgeschlossen werden. E. coli war unterhalb einer Tiefe von 80 Zentimetern selbst auf Flächen mit keimangereicherter Gülle nicht mehr nachzuweisen [7].
Der Eintrag von Fäkalkeimen in Oberflächengewässer durch die Düngung mit belasteten organischen Düngemitteln kann zwar nicht ausgeschlossen werden, es ist aber davon auszugehen, dass dieser Eintrag in nur geringem Maße erfolgt. Untersuchungen der Landesanstalt für Umweltschutz Baden Württemberg [5] haben gezeigt, dass die Konzentration von E.coli in Grünlanddrainagen gegüllter Areale nicht höher lag als in nicht gegüllten Arealen. Zudem war der bei weitem überwiegende Teil der in den Drainagen beobachteten Keimkonzentrationen deutlich unter denen des angrenzenden Flusses. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „Gülleausbringung und Weidebetrieb zwar ohne Zweifel zu Belastungen mit Fäkalkeimen beitragen, die in den Flüssen beobachteten Spitzenbelastungen für E.coli hiermit jedoch kaum erklärt werden können“. Diese Spitzenbelastungen kommen nach Ansicht der Autoren nicht durch den Ablauf der Kläranlagen zustande, da über 99 % der Keime in den Kläranlagen zurückgehalten wurden, sondern vielmehr durch die Spitzenbelastung der Regenüberläufe.
Maßnahmen zur Verminderung des Infektionsrisikos
Die größte Infektionsgefahr besteht zweifellos im Verzehr von Lebensmitteln, die aufgrund unzureichender Hygienemaßnahmen kontaminiert wurden. Nicht unerheblich ist auch die Gefahr einer Infektion bei engem Personen- und Tierkontakt. Auch in Fließ- und Badegewässern besteht ein gewisses hygienisches Risiko, weil Krankheitserreger langsamer entfernt werden als in desinfizierten Schwimmbädern.
Maßnahmen zur Verminderung des Infektionsrisikos sollten der Höhe des Infektionsrisikos entsprechend erfolgen. Vordringlich müssen also wirksame Hygienemaßnahmen im Lebensmittelbereich ergriffen werden. Allein damit lässt sich eine Infektion mit Fäkalkeimen wie EHEC schon nahezu gänzlich ausschließen. Wenn wirksame Maßnahmen beim direkten Umgang mit Tieren umgesetzt werden, ist auch dieser Infektionsweg auszuschließen. Soll auch das letzte verbleibende, vergleichsweise geringe Risiko der Infektion über Oberflächengewässer ausgeschlossen werden, können Maßnahmen zur Desinfektion von Regenüberläufen bzw. Abwässern in Betracht gezogen werden. Vermutlich vollkommen wirkungslos, da an EHEC-Infektionen nahezu mit Sicherheit nicht beteiligt, blieben Verbotsmaßnahmen der Ausbringung von organischen Düngemitteln.
Schlussfolgerung
Wenn mit Bezug auf die EHEC-Epidemie ein Verbot der Düngung mit Klärschlamm gefordert wird, wie dies der Baden-Württembergische Umweltminister damals geäußert hatte, geht es offensichtlich nicht um die Eindämmung des Infektionsrisikos. Von allen denkbaren Maßnahmen zur Verminderung der Ausbreitung von EHEC wäre ein solches Verbot nachweislich die unwirksamste. Ginge es wirklich darum, auch das letzte Risiko einer Verbreitung von EHEC in der Umwelt auszuschalten, müssten auch alle Wildtiere vernichtet werden, da sie als potentielle Träger und Ausscheider des EHEC-Erregers zur Verbreitung in der Umwelt in vergleichbarem Maße beitragen.
Hier wurde offensichtlich die allgemeine Verunsicherung der Öffentlichkeit, die vor dem Hintergrund der Todesfälle durch EHEC-Infektionen verständlich ist, bewusst geschürt und ausgenutzt, um eine Begründung für ein Düngeverbot vorzutäuschen. Die wahren Gründe für ein Düngeverbot mit Klärschlamm liegen dagegen auf der Hand: Klärschlamm wäre als Brennstoff eine lukrative Einnahmequelle für Energiekonzerne, und im Falle von Baden-Württemberg gleichzeitig auch der Landesregierung.
QDR e.V., Dipl.-Ing. agr. Alexander Neumann
Literatur:
[1] Anonym (2005): http://bse.khd-research.net/F/acts1.html
[2] WHO (2006): Wheekly epidemiological report, No 26, S 249-260
[3] Anonym (2007): Hamburger Abendblatt, 14. Feb. 2007
[4] Anonym (2011): Epidemiologisches Bulletin. 30.5.2011, Nr. 21, Robert-Koch-Institut
[5] H. Güde (2002): „Erfassung und Bewertung von Eintragswegen für Belastungen mit Fäkalkeimen im Einzugsgebiet der Seefelder Aach“, Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg Langenargen, Institut für Seenforschung
[6] Wasiak st al. (2004): „Untersuchungen praxisrelevanter thermischer Verfahren zur Bodendesinfektion am Beispiel ausgewählter Mikroorganismen“; Institut für Umwelt- und Tierhygiene sowie Tiermedizin mit Tierklinik der Univerität Hohenheim; Stuttgart
[7] Prof. Dr. J. C. Munch et al.(1995), „Weitergehende Untersuchungen mit Hilfe molekularbiologischer Nachweisverfahren zum Verhalten von fäkalen Güllekeimen im Wasserschutzgebiet Langenauer Donauried“; Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft FAL, Institut für Bodenbiologie, Braunschweig, Universität Hohenheim, Institut für Tier- und Umwelthygiene, Stuttgart Universität Tübingen, Abt. Allg. und Umwelthygiene, Tübingen